Kurt Mahr war ein unterschätzter Schriftsteller – Teil 1 Eine Kolumne von Stefan Pannor über einen populären PERRY RHODAN-Autor

29. April 2024

Im Rahmen des PERRY RHODAN-Reports, der vierwöchentlichen Beilage zur PERRY RHODAN-Serie, erschien ein Beitrag von Stefan Pannor (in Band 3268, »Die Geheimnisse der ELNVAN«, von Michelle Stern). In ihr schrieb der Redakteur über Kurt Mahr, den PERRY RHODAN-Autor, und seine vielfältigen Scirnce-Fiction-Romane. Diesen lesenswerten Beitrag teilen wir gern auch an dieser Stelle – in Fortsetzungen …

Er war Autor und Übersetzer

Das seltsamste Buch von Kurt Mahr ist gar nicht von ihm. Es ist die Übersetzung einer Goebbels-Biografie des britischen Autors und Satirikers Alan Wykes, auf Deutsch erschienen im Moewig-Verlag 1986, im Original bereits 1973. Wykes hatte im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten gekämpft und später auch Biografien über Hitler, Himmler und Reinhard Heydrich verfasst. Sein Buch über den faschistischen Propagandaminister ist heute eher vergessenswert, aber das liegt nicht an Mahrs Übersetzung.

Im Rahmen von Mahrs Bibliografie ist Wykes Buch ein Ausreißer. Nicht nur, weil es der einzige Titel ist, für dessen Veröffentlichung Mahr seinen Geburtsnamen Klaus Mahn benutzte.  Darüber hinaus ist es das einzige geschichtliche Sachbuch, das Mahr übersetzt hat. Die Existenz dieser Übersetzung wirft ein Schlaglicht auf die oft übersehene Vielseitigkeit des Autors, der in die Schublade des »Physikers vom Dienst« gepresst wurde – in die er sicher nur zum Teil gehörte.

PERRY RHODAN-Autoren teilen sich zunächst in zwei Kategorien auf: Jene, die fast ihr gesamtes schriftstellerisches Wirken im Rahmen der Serie und ihrer diversen Spin-offs verbringen. Und jene, für die PERRY RHODAN nur Teil einer viel umfangreicheren Karriere ist. Zu ersteren gehören etwa Willi Voltz und Marianne Sydow, beide mit nur schmalem Non-RHODAN-Werk. Zu zweiteren gehören Ernst Vlcek und Hanns Kneifel, beide mit umfangreicher Bibliografie in anderen Serien und einer Vielzahl Einzelromane.

Wohin gehört Kurt Mahr? Fünfzehn Bücher hat er übersetzt, darunter das von Wykes. Vor allem aber SF-Titel, von Poul Anderson, Harry Harrison und anderen. Vier Beiträge hat er zu K. H. Scheers »ZBV«-Serie verfasst. Mehr als sechzig Science-Fiction-Romane hat er geschrieben, die serienunabhängig waren oder in von ihm selbst geschaffenen Serienuniversen spielten, fast alle davon in den Sechzigerjahren. Danach erschienen nur gelegentlich Texte von ihm, die außerhalb der PERRY RHODAN-Serie spielten.

Diese mehr als achtzig Titel verblassen freilich im Vergleich zu Mahrs 338,5 Beiträgen zur PR-Serie. Der halbe Band ist der Jubiläumsband »Die Gänger des Netzes«, verfasst von Mahr und Vlcek gemeinsam. Daraus wird klar: Kurt Mahr war in erster Linie PERRY RHODAN-Autor.

Aber wohl nicht nur deshalb fanden seine serienunabhängigen Romane lange keine Beachtung. Bis in die Achtzigerjahre wurden seine Titel wiederholt neu aufgelegt. Nach dem demografisch bedingten Absturz des Heftromanmarktes Ende des Jahrzehnts erlebten dagegen nur wenige seiner eigenständigen Titel eine Neuauflage. Dass er, wenn auch nur für kurze Zeit, einer der produktivsten, beliebtesten und modernsten deutschsprachigen SF-Autoren war, ist nahezu vergessen. Warum?

Eine Karriere aus Notwehr

Begonnen hatte diese Karriere eher aus Notwehr. Mahr, bürgerlich Klaus Otto Mahn, fehlte laut eigener Aussage »die Überzeugung, dass auch ich so etwas schreiben könnte«. Erst die Lektüre eines Romans des Dresdner Autors Eberhard Seitz, der unter dem Pseudonym J. E. Wells publizierte, überzeugte ihn vom Gegenteil: Ein Roman, in dem ein Wissenschaftler Probleme mittels eines »goldenen Antiprotons« löste, war aus Mahrs Sicht miserabel verfasst und dennoch publiziert worden.

»›Otto‹, sagte ich zu mir: ›Das kannste auch‹«, schrieb er später im Werkstattband zum 25. Geburtstag der Serie.

Das Ergebnis jenes Kannste-auch war »Zeit wie Sand«, im Januar 1960 im Rahmen von Moewigs Romanheftreihe TERRA publiziert. »Ein wohlgelungener und in seiner Idee äußerst kühner Roman«, wie Lektor und Redakteur Günter M. Schelwokat auf der Leserkontaktseite ankündigte. Da war Mahr noch Student und hatte sein Pseudonym gewählt aus Angst, seine Professoren würden seinen Nebenerwerb nicht gutheißen. Nicht ohne Ironie erschien der Erstling nur drei Wochen nach dem Nachdruck eines Romans von »J. E. Wells« in derselben Reihe.

Bereits die ersten Seiten von »Zeit wie Sand« zeigten die Schwerpunkte, die Mahr bei seiner SF legen sollte: ein knapper, präziser, mitunter ironischer Stil sowie hohe physikalische Genauigkeit. Mahr benannte nicht nur die Geschwindigkeit seiner Weltraumraketen exakt, sondern auch deren Antriebsart, und schilderte, dass man Raumschiffe nicht mal eben im Hinterhof baute, wie bei einigen Autoren dieser Zeit noch üblich.

»Zeit wie Sand« beginnt vor dem Hintergrund des Wettrennens zum Mond zwischen Sowjetunion und USA. Er enthält Sätze wie: »Als Treibstoff verwendeten wir atomaren Wasserstoff mit einem Zusatz, der es uns erlaubte, das Verhältnis von Gesamtlast zu Nutzlast bei der Rakete zu dem nie erreichten Wert von drei zu eins zu drücken.« Kein Wunder-Proton mehr!

»Es ging mir«, schrieb Mahr zu diesem Teil seines schriftstellerischen Werks 1976 in einem Beitrag für TERRA ASTRA, »um die Schilderung denkbarer oder zumindest Ausmalungen technisch-wissenschaftlicher bis spekulativer Prozesse«.

Mahr trieb seine Geschichten mit physikalischer Konsequenz voran. Wenn ein Raumschiff aufgrund zeitdilatatorischer Effekte in die Zukunft verschlagen wurde – was unter anderem der Plot war von »Zeit wie Sand«, »Menschen zwischen der Zeit« (1961) und der zwei Romane um das Raumschiff CONQUEST (1960 & 1983) –, dann blieben sie dort auch, weil die Physik das nun einmal so vorsah. Das unterschied Mahr beispielsweise von Kollegen wie Clark Darlton, die meist doch einen Deus ex machina fanden, um ihre Figuren in die Ursprungszeit zurückzuholen.